Unentwegt müssen wir funktionieren, sollen Sport betreiben, uns gesund ernähren und frisch kochen, den Müll trennen, wir sollen uns weiterbilden, und bei aller Anstrengung gut aussehen. Dauernd müssen wir was und haben gleichzeitig das Gefühl, die Luft nach oben ist noch immer offen. Ein Blick auf Instagram bestärkt die Zweifel. Was kann da helfen? Ein Lebenshilfebuch muss her. Geht man in eine Buchhandlung, kommt die nächste Herausforderung: Die Regale sind voll mit Lebenshilfebücher. Verlockende Titel wie „Dieses Buch verändert dein Leben für immer“ oder „Von der Kunst, das Leben leicht zu nehmen“ oder „Die Weisheit der Esels“ oder „Glück, worin liegt es?“.
Schaut man genauer hin, bewegen wir uns ständig in Gegensätzen, die eng beieinander liegen. Freude und Trauer, leicht und schwer, hell und dunkel, Yin und Yang. Und wenn der Druck besonders hoch ist, entscheiden wir uns allzu oft nur für eine Seite. Ich finde, es macht durchaus Sinn erst einmal die Mitte auszuloten, indem wir uns zwischen den beiden Polen bewegen und dann bessere Entscheidungen treffen.

Es ist, wie es ist, bis es anders ist.
Mit Tadasana, der Berghaltung, beginnen im Yoga die stehenden Asanas und von denen gibt es viele und mächtige. Die Berghaltung erlaubt mir im wahrsten Sinne des Wortes eine Verschnaufpause, um ins Spüren zu kommen. Sie bringt über die bewusste Atmung meinen Körper und den Geist zusammen. Die Berghaltung erdet mich, sie hilft mir unerschütterlich zu ertragen, was unverrückbar ist, weil es so ist, wie es ist. Im Weinviertel haben die Älterwerdenden das schon immer gesagt. Ich hänge gerne den Zusatz „Ja, bis es anders ist“ dran, weil es im Moment so ist. Tadasana ist voll alltagstauglich und geht immer, nicht nur im Yoga-Studio.
Ab in die Mitte: „Ist der Körper im Lot und leicht, ist der Geist beweglich.“
Über neun bis zwölf Monate braucht ein Kind, bis es aufrecht stehen kann. Durch das viele Sitzen verlieren wir leise dieses Gefühl von einfach so dastehen, aufrecht wie ein Berg, unverrückbar, unerschütterlich und kraftvoll verbunden über die Fußsohlen und Beine und der aktivierten Mitte mit der Erde. Wer glaubt, Tadasana sei eine simple Asana, der irrt. Die Anleitung ist komplex und die Ausführung ist für jeden einzelnen unterschiedlich komplex. Das speziell im Handy-Zeitalter mit dem stehen nach unten auf das Handy schauen. Sogar beim Gehen.
B.K.S. Iyengar, einer der führenden internationalen indischen Yoga-Lehrer, er starb 2014, sagte: „Wenn der Körper im Lot und leicht ist, so ist der Geist beweglich.“
So ist es. Mit Tadasana stehe ich aufrecht und unverrückbar, mein Oberkörper und Kopf ist leicht und beweglich, geistig stärke ich meinen Fokus und die Konzentration und sorge für Aufrichtigkeit und Gelassenheit in mir. Probiere es aus beim Warten auf den nächsten verspäteten Zug.
